Der
Wanderer, der Trippstadt im Wonnemonat Mai besucht, wird in den
Wäldern und Wiesen die unseren Ort umschließen ein wunderschönes
Blütenmeer vorfinden.
Buschwindröschenblüte |
Wildapfelblüte Fotos Copyrights Ute Knieriemen-Wagner |
In
den Laubwäldern stehen die Buschwindröschen in voller Blüte. Die
Wiesen strotzen vor geballtem Grün. Der „Maibusch“, der
dottergelbe Löwenzahn, bestimmt hier den Blütenaspekt. Vogelkirsche
und Schlehe streuen ihren Blütenduft in die Landschaft und auch der
Wildapfel, um den es in diesem Artikel geht, blüht nun in unseren
Wäldern! Der Wildapfel ist übrigens Baum des Jahres 2013.
Die
Mythologie und das Märchen sind dem Alltag meistens ein Rätsel.
Dies braucht uns nicht zu wundern, denn sie sind im wahrsten Sinne
des Wortes auf "Wundern" aufgebaut. Wie im Märchen von
Dornröschen oder Schneewittchen. In der Erzählung von Heinrich
Zimmer, "Der
König mit dem Leichnam",
lässt uns der große Indologe einen Einblick gewähren in das
Geheimnis des Märchens und somit der Mythologie. Es heißt darin:
"Die
Prinzessin im gläsernen Sarg ist ein Rätsel, denn sie ist nicht
tot, trotz ihrer Starre im Sarge. Es gilt zu finden, was sie wieder
ins Leben bringt. In rätselhaften Schlaf versenkt liegt Dornröschens
Schloss, wie konnte es Schlummer befallen? Wie spann sich die
undurchdringliche Hecke des Geheimnisses um seinen totenstillen
Traum, und wer löst den rätselhaften Bann? Der Sinn dieses Rätsels
ist die Frage: was ist das Wirkliche, dass sich im dargebotenen
Schein verbirgt? Was ist in Wahrheit mit der Prinzessin so weiß wie
Schnee, so rot wie Blut, und Haaren schwarz wie Ebenholz, ein Abbild
des Lebens, das unverweslich und so lange schon im Sarge ruht, von
den Zwergen betrauert, - ist sie wirklich auf ewig tot? Oder welches
Wunder kann sie aus dem scheinbaren Tod, der sich mit dem Schein des
Lebens schminkt, ins wirkliche Leben zurückbringen? Ist Dornröschens
Schlummer die ganze Wirklichkeit, steckt nicht in ihm ein Anderes,
Geheimes, wie ein Kern verborgen in Fruchtfleisch und Schale steckt?"
Wie
zum Beispiel in einem Apfel? Ob Schneewittchen oder Dornröschen,
wenn der Mythos uns in seiner Gewalt hat, müssen wir uns so etwas
wie eine Strukturanalyse schaffen, damit wir uns nicht in seinem
Labyrinth verirren.
Es
ist immer der Baum, der rettende Helfer, der stark verwurzelt am Ein-
und Ausgang des Labyrinths steht, der unser Suchen bewacht, dass wir
uns nicht verirren und irgendwann dem schrecklichen Minotaurus
gegenüberstehen. Wer sich die Mühe macht in die Mythologie der
Bäume einzudringen, wird mit zwei großen Symbolen konfrontiert die
uns begleiten, seit wir als Menschen auf diesem Planeten
umherwandern. Das eine ist die große Göttin, Dornrösschen ist eine
Form von ihr, das andere ist der kosmische Baum. Er repräsentiert
die Transzendenz, beide gehören auf ewig zusammen. Der Mensch von
heute kann es leider nicht mehr wahrnehmen. Nur Bruchstücke einer
uralten Überlieferung sind es, die er manchmal findet. Es ist, als
hält er einen verdorrten Ast in der Hand und kann den Stamm nicht
finden zu dem dieser einst gehörte.
Nach
dem Sieg der Kirche über das Heidentum in Europa, lebte die
Verehrung alter Baumriesen zwar weiter, aber die alte Religion
verschwand immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen. Die Verkünder
des Evangeliums begannen eine mörderische Hetzjagd nach den
Menschen, die das weibliche Prinzip der Natur verehrten. Der
lebendige Baum durfte nicht mehr angebetet werden, dafür gab die
Kirche als Ersatz den Menschen ein hölzernes Kreuz. Der großen
Mutter durften keine Gaben mehr dargebracht werden und einige
Kirchenväter erklärten den Menschen zur "Krone der Schöpfung".
Dass dem Menschen diese "Krone" keineswegs passt, das
wissen wir inzwischen nur zu gut. In der Hierarchie der Erdbewohner
ist er das schwächste Glied von allen; nämlich jenes, das nach dem
Motto "machet euch die Erde untertan" handelt und alles
zerstört. Die uralten heiligen Haine, sind von den Landkarten
Europas verschwunden. Dort wo einst geheimnisvolle Baumheiligtümer
standen, befinden sich nun gigantische Müllkippen und Betonwüsten.
Dennoch gibt es wieder Menschen die der uralten Stimme der Göttin
lauschen, die insgeheim nie ganz verschwunden ist, sondern sich nur
zurückgezogen hat. Menschen die wissen, dass das Salz dieser Erde in
ihrem Blute wirkt, dass das Abbild des kosmischen Baumes in ihre
Seele geätzt ist. Jenes uralte Wesen, das einst Besitz vom ganzen
europäischen Raum ergriffen hatte – dem archaischsten aller
Lebewesen, dem Baum
des Lebens.
Auch
unser heimischer Apfelbaum, vor allem sein Wildling der Holzapfel
(Malus sylvestris), hat eine uralte Kulturgeschichte die tief in
prähistorische Zeiten zurückreicht. Der älteste von Archäologen
gefundene Apfel ist ca. 6000 Jahre alt. Man fand ihn in der Nähe von
Heilbronn, wahrscheinlich haben schon jungsteinzeitliche Siedler
damit begonnen, Wildäpfel zu kultivieren. Also in der "Hohen
Zeit der Göttin", schließlich gehört der Apfelbaum zu ihren
Attributen, wie die Eiche dem Zeus geweiht war. Man sprach den Apfel
den Göttinnen der Liebe und Fruchtbarkeit zu. Diese
"Apfelträgerinnen" waren bei den Babyloniern Ischtar,
bei den Griechen Aphrodite
und bei den Germanen war es Idun.
Sie war die Gemahlin von Bragi, einem Sohn Odins, der ihm den Besitz
der Dichtkunst übertragen hatte. Idun war eine Göttin aus dem
Geschlecht der Asen. Die Götter kamen gerne zu Idun und Bragi,
ließen sich von ihm Helden- und Liebeslieder vorsingen und aßen von
den heiligen Äpfeln der Idun, durch deren Genuss den Göttern ihre
Jugend erhalten blieb.
Als
Loki einst von dem Riesen Thiassi geraubt worden war, verlangte
dieser für Lokis Freilassung Idun mit ihren Äpfeln. Loki führte
darauf Idun in einen Wald, wo sich Thiassi ihr in Gestalt eines
Adlers bemächtigte und sie in seinen Palast nach Jötungheim
brachte. Seitdem wurden die Götter grau und alt. Darum zwangen sie
Loki die Geraubte zu befreien! Mit dem Falkengewand der Freya flog
Loki nach Jötunheim und da er den Riesen nicht antraf, verwandelte
er Idun in eine Nuss und flog mit ihr zu den Asen/Göttern zurück.
Thiassi, als er das wahrnahm, verfolgte in der Gestalt eines Adlers
den Falken. Die Asen warfen dem Adler brennende Holzspäne entgegen,
so dass er bald nicht mehr fliegen konnte, abstürzte und getötet
wurde. So kehrte mit Idun wieder die Jugend zu den Göttern zurück.
Diese
Göttersage greift auf ein Märchen über, das wir wohl alle kennen:
Schneewittchen. Dieses Märchen ist eine symbolische Verkleidung der
alten Göttin. Hier versucht die eifersüchtige Stiefmutter (ein
älterer Aspekt der Göttin), die junge Prinzessin zu ermorden. Man
führt sie in einen Wald (tiefenpsychologisch - das Unbewusste), wo
sie getötet werden soll. Doch der Jäger, der den Auftrag hat sie zu
töten, bringt zum Beweis der Tat die Leber und die Lunge eines
jungen Ebers mit. Der Eber ist ein Tier dem wir in den antiken
Mysterien immer wieder begegnen. Die Stiefmutter, die bald erfährt
dass ihr Mordauftrag nicht ausgeführt wurde, versucht nun selbst die
Prinzessin zu töten. Zunächst mit einem Zwangsgürtel, dann mit
einem vergifteten Kamm, schließlich mit einem vergifteten Apfel. Als
sie Schneewittchen aufsucht, färbt sie ihr Gesicht dunkel, hiermit
zeigt sie an, dass sie die Todesgöttin ist. Die sieben Zwerge legen
Schneewittchen in einem tiefen Wald in einen gläsernen Sarg hinein.
Aber sie wird von einem Prinzen gerettet. Den Glassarg kennen wir aus
der keltischen Mythologie, dort symbolisiert er die "gläserne
Burg". Die sieben Zwerge stehen für die sieben Himmelskörper.
Kamm, Glas, Gürtel und Apfel sind die Requisiten der Göttin. Das
Drama um Schneewittchen scheint also eine uralte Inszenierung zu
sein, wahrscheinlich geht es hierbei auch um einen uralten
Fruchtbarkeitskult. Wahrscheinlich wird die Prinzessin hier zum Einen
mit dem Einschlafen der Natur im Winter identifiziert und nachdem sie
den Apfel wieder ausgespuckt hat, mit dem Erwachen der Natur im
Frühling gleichgesetzt. Zugleich ist sie auch ein Symbol für Jugend
und Unsterblichkeit.
In
der Sprache des Mythos reden nicht nur Personen zu uns, es reden die
Götter mit uns. Es teilen sich uns nicht nur Nationen mit, sondern
die Völker von Kontinenten sprechen über den Mythos mit uns. Nicht
Jahrhunderte erzählen uns, sondern Jahrtausende, ja der Anfang
selbst spricht zu uns.
Es
gab immer wieder Menschen die behaupteten mit den "goldenen
Äpfeln", seien Zitronen oder Orangen gemeint, doch diese
Behauptung ist falsch. Die Griechen lernten die Zitrusfrüchte
frühestens im 4.Jahrhundert in Form von Zitronat kennen, die Zitrone
erst viele Jahrhunderte später, die Orange tauchte erst um das Jahr
1000. in Europa auf, die goldenen Äpfel sind also eine mythische
Frucht.
Die
Göttin der Unterwelt Persephone, die auch eine Vegetationsgöttin
ist, war eine Tochter des Zeus und der Demeter. Einst spielte sie mit
Freundinnen auf einer Wiese, Blumen sammelnd entfernte sie sich von
ihren Gespielinnen; dies sah Pluto (Hades) der Gott der Unterwelt, er
raubte sie und erhob sie zur Beherrscherin der Unterwelt. Ihre Mutter
Demeter suchte sie mit einer an den Flammen des Ätna entzündeten
Fackel auf der ganzen Erde, doch erst Helios offenbarte ihr deren
Schicksal. Zeus versprach der Demeter, dass Persephone wieder zu ihr
zurückkehren würde, wenn sie im Schattenreich noch keine Nahrung zu
sich genommen hätte. Mit Pluto hatte sie aber bereits einen
Granatapfel geteilt, deswegen durfte sie nur zwei Drittel des Jahres
in der Oberwelt verbringen. Weil Persephone den Granatapfel gegessen
hatte, "die mythische Frucht", die ihr Pluto reichte, war
sie sein Weib und musste bei ihm bleiben. Wenn ein Apfel halbiert
wird, zeigt jede Hälfte in ihrer Mitte einen Stern, ein Pentagramm,
das Symbol der Unsterblichkeit, das die fünf Stationen der Göttin
repräsentiert, von der Geburt bis zum Tod und wieder zurück zur
Geburt. Die mythischen Äpfel sind also die Frucht der
Unsterblichkeit, jene die davon kosten, werden eins mit ihrem Selbst
und erheben sich so zu den Göttern.
Hippomenes
besiegte einst die schöne Atalanta im Wettlauf mit Hilfe dreier
goldener Äpfel, die ihm Aphrodite gab. Beim Lauf ließ er diese in
Abständen fallen, und Atalanta bückte sich jeweils, um die goldenen
unwiderstehlichen Zauberfrüchte aufzuheben. So gewann er den Lauf
und das Mädchen verlor ihre Jungfräulichkeit, hätte Hippomenes das
Rennen verloren, hätte dies seinen Tod bedeutet. Hippomenes vergaß
allerdings, sich bei der zänkischen Aphrodite zu bedanken. Als er
nun die Besiegte im Heiligtum der Kybele umarmte, verwandelte
Aphrodite beide in Löwen, die nun den Wagen der Göttin ziehen.
Hera, die Gattin des Zeus, bekam als Hochzeitsgeschenk, von Gaia, der
Mutter Erde, einen Apfelbaum geschenkt, den die Erdmutter aus ihrem
Schoß hervorsprießen ließ. Dieser Baum mit den Unsterblichkeit
verleihenden Früchten befand sich im äußersten Westen, im Land des
Sonnenuntergangs, und wurde von den Hesperiden, den Töchtern des
Atlas und der Nyx bewacht. Drei dieser Äpfel zu holen war die elfte
Aufgabe des Herakles. Nyx, die Mutter der Hesperiden, war keine
andere als die Personifikation der Nacht. Eine mächtige Göttin die
Menschen und Götter durch den Schlaf bezwingt. Ihre Töchter Aigle,
Arethusa, Erytheia und Hesperia, waren wunderschöne Nymphen, die oft
mit klangvoller Stimme sangen. Hera wusste, dass diese ihre goldenen
Äpfel plünderten. Sie befahl dem "nie schlafenden" Ladon,
ein schlangenähnliches hundertköpfiges Ungeheuer, seinen Leib in
Ringen um den Baum zu winden und jedem den Zugang zu verwehren.
Alkmene,
die Mutter von Herakles, war eine Sterbliche und die Gattin des
Amphitryon. In dessen Gestalt hatte sich Zeus Alkmene genähert und
mit ihr Herakles gezeugt. Hera, die Gemahlin des Zeus, verfolgte
Herakles aus Eifersucht seit seiner Geburt. Alkmene hatte Herakles
nach der Geburt ausgesetzt, aus Angst vor Hera’s Rache. Athene fand
das Kind und brachte es zu Hera, diese erkannte es nicht und säugte
Herakles aus Mitleid. Der Säugling biss dabei die Götten Hera in
die Brust und sie stieß ihn von sich. Da er mit der göttlichen
Milch gesäugt wurde hatte er von nun an übernatürliche Kräfte.
Athene brachte das Kind zu seiner Mutter zurück und er wuchs bei
seinen Eltern auf.
Der
Held, der die Aufgabe hatte, die goldenen Äpfel der Hesperiden zu
Eurystheus, seinem Auftraggeber zu bringen wusste nur, dass dieses
sagenhafte Land im Westen lag. Herakles war sich im Unklaren, welchen
Weg er einschlagen sollte und ging zunächst nach Norden. Er
überwältigte den Meeresgott Nereus, fesselte ihn und zwang ihn ihm
den Weg zu den Hesperiden zu verraten. Dieser gab ihm noch den Rat,
die Äpfel nicht selbst zu pflücken, sondern hierfür Atlas, den
Träger des Himmelsgewölbes zu benutzen. Durch List gelangte
Herakles an die goldenen Äpfel und löste seine Aufgaben. Als
Herakles die Äpfel Eurystheus überreichte, gab dieser sie ihm
zurück. Er schenkte sie hierauf Athene, die dafür Sorge trug, dass
Heras Eigentum wieder in die Hesperiden zurückkam. Da Herakles für
kurze Zeit im Besitz der mythischen Frucht war, war er zu einem
Unsterblichen geworden und konnte nun die nächste Aufgabe, den
Abstieg in den Hades angehen. Denn nur Unsterbliche konnten in den
Hades eindringen und von dort auch wieder zurückkehren. So
symbolisiert der Apfelbaum der Hesperiden auch gleichzeitig den
kosmischen Baum. Das Herakles gerade Athene die Äpfel zur
Aufbewahrung gab, war wohl eine List von ihm, denn Athene war auch
die Göttin der Weisheit und ihr Symbol war unter anderen auch die
Schlange. Die "Schenkung" der Äpfel war so als
Wiedergutmachung gedacht, weil Herakles das Schlangenungeheuer Ladon
erschlagen hatte.
Was
ist er nicht alles der Apfel! Evas Lockmittel, der Preis der Paris,
der Anfang des trojanischen Krieges, Wilhelm Tells Zielscheibe,
Newtons Erleuchtung, Sinnbild der Insel Avalon, kurzum der Apfelbaum
kann uns vieles erzählen und lehren.
hukwa